Brüche

Prolog: Sprache ist nicht nur, was Du sagst. Sondern auch das Wie. Der Fluss der Worte, das Timing, die kleinen Pausen und Betonungen.

Gesprochene Sprache atmet. Das geschriebene Wort kann das auch.

Nimm diesen Satz:

Ich liebe Dich nicht mehr als Du mich.

Ein Statement. Eine Feststellung. Fast schon kühl, ein wenig distanziert. Eine Waage im Gleichgewicht zwischen zwei Polen.

Nun denn, hauchen wir ihm ein wenig Leben ein.

Ich liebe Dich
Nicht mehr als Du mich

Ein simpler Zeilenbruch. Ein Absetzen. Und da, hast Du es gehört? Ein kurzes Luftholen.

Zuerst die Deklaration. “Ich liebe Dich”. Kraftvoll. Strahlend.

Doch dann, das zögern. Als ob das “Ich liebe Dich” allein für sich nicht sein darf. Die leuchtende Deklaration wird eingefangen, relativiert. Gedimmt.

Kannst Du die Stimme vernehmen? Wie sie die erste Zeile kraftvoll hinausposaunt, nur um dann, nachdenklich, vielleicht leicht zitternd, den Satz zu beenden?

Okay, nächster Ansatz. Verschieben wir den Bruch.

Ich liebe Dich nicht
Mehr als Du mich

Hörst Du den Knall? Wie die Tür ins Schloss kracht?

Was eben noch eine Liebeserklärung war, die sich zögerlich begrenzt, vielleicht um Ausgleich bemüht ist? Jetzt ist es eine brutale Abgrenzung. Ein “Ich liebe Dich nicht, und das ist immer noch mehr, als Du mir entgegen bringst.”

Der Auftakt ist kalt, hart. Die Emotion liegt in der zweiten Zeile. Anklagend, frustriert, vielleicht ein wenig verletzt. Ein verwundetes Wesen, das zurückbeißen will. Den Schmerz teilen.

Mal sehen… vielleicht ein Schritt zurück? Eine neue Stufe?

Ich liebe
Dich nicht
Mehr als Du mich

Gleiche Aussage, anderer Ausgangspunkt. Da scheint jemand bei sich selbst angekommen.

Zunächst: “Ich liebe”. Die Erkenntnis, frei von einem Gegenüber. Jemand, der voller Liebe ist und noch nicht weiß, wohin damit.

Dann, ”Dich nicht”. Unmissverständlich , Du bist es nicht. Rammt diesen Pfosten kraftvoll ein. Bis hierhin, und nicht weiter.

Doch damit nicht genug. “Mehr als Du mich”. Die Liebe, die mich erfüllt, ist mehr, als Du mir entgegen bringen kannst. Was eben noch selbstbewusst den eigenen Raum definiert und abgrenzt, wird ein Stückweit selbstherrlich. Stellt sich über das Gegenüber, drückt die Waage unbarmherzig zur eigenen Seite. Spricht dem Anderen ab, was man selbst für sich in Anspruch nimmt.

Ein Satz. So viele Szenarien. Und all das allein durch das so simple Stilmittel des Zeilenumbruchs.

Können wir daraus eine Geschichte weben?

Ich liebe Dich
Nicht
Mehr
Als Du mich

Die Deklaration als Basis in der ersten Zeile.

Brutal unter den Füßen weggezogen in der zweiten.

Dann, das doppeldeutige “Mehr”. Da war mehr, eben noch. Jetzt ist es nicht mehr. Und dieses Mehr steht im Fokus, für sich. Eine Sehnsucht vielleicht? Was ist passiert mit diesem Mehr? Wo ist es hin? Die Stimme wird fragend.

Und dann, der Abschluss, der fast untergeht in dieser Achterbahn der Gefühle. Und doch so viel erklärt.

“Als Du mich”. Was macht das? Aus dem “Mehr” wird ein Vergleich. Ein Deckel für die Emotionen. Meine Liebe kann nicht mehr sein als das, was Du mir entgegen bringst.

Wenn das stabil ist? Ein in sich geschlossener Kreis, der sich selbst nährt. Aber das ist es nicht, stabil. Haben wir ja gerade erlebt.

Da ist ein zurückzucken. Der Deckel senkt sich, der Kreis wird kleiner. Die Spirale dreht sich abwärts. Bis hin zu dem was übrig bleibt… aber dazu mehr in der nächsten Lektion.

Magst Du es selbst versuchen, werter ZuLeser? Nimm einen Satz. Etwas Alltägliches. Und brich ihn. Nicht brutal, sondern mit vorsichtig tastenden Fingern. Fühle die Bruchstellen, die sich in ihm verbergen. Gib ihm Raum über mehrere Zeilen. Lass ihn atmen, pulsieren. Und schau, was passiert.

Wir lesen uns gleich wieder…

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